Disclaimer: Jegliche Ähnlichkeit zu lebenden oder toten realen Personen ist rein zufällig und in keinster Weise beabsichtigt. Der Autor fand seine Anregungen und Stichworte an vielen Stellen im Netz, dafür sei den jeweiligen Schreibern gedankt. Während der Erstellung dieses Textes wurden auch keine Tiere verletzt oder andersartige Lebewesen in Mitleidenschaft gezogen. Mein Herz ist noch immer rein!
Endlich sind Ferien, alle Kinder lieben Ferien. Alle Kinder? Nein, wie wir gleich sehen werden, haben und nutzen nicht alle Kinder die Möglichkeit, sich von ihrem stressigen Schuljahr in der Verbesserungsanstalt Oer-Erkenschwick auch zu erholen.
Etliche sind von ihren geplagten Eltern sofort ins Hochsicherheits-Ferienlager verfrachtet worden. Das ist eine ganz tolle Sache, kann man doch zu bellender Drillinstructorstimme auch dort noch das Gefühl vermittelt bekommen, so richtig den Gänsemarsch geblasen zu kriegen. Andere, die weniger problematischen Fälle, spannen, hinter den hohen Mauern vor den Blicken der Öffentlichkeit geschützt (wohl eher diese vor einer öffentlich Gefährdung geschützt), einfach nur aus.
Eigentlich könnte das Frl. Rottenmeier ja nun auch mal nur an sich denken und endlich den Überschlagumschlag eines Querkarotopflappenhäkelmusters weiter verfeinern. Aber Lehrerinnen wie das Frl. Rottenmeier kommen niemals zur Ruhe, plagen und mühen sich auch mit dem hoffnungslosesten Schüler noch in ihrer wohlverdienten Freizeit.
So legt sie dann auch am 2. Mittwoch der Ferienzeit ihre Häkelnadeln beiseite, greift nach ihrem, von schweren Grabenkämpfen reichlich abgewetzten Trenchcoat, setzt sich den Hut aus den 60er Jahren mit der langen Fasanenfeder auf den Kopf und steigt in ihr rotes, im strahlenden Sonnenschein schon erwartungsfroh schimmerndes Auto und tuckert auf heißen Reifen nach Castrop-Rauxel-Süd, um sich nach Ben-99 zu erkundigen, weiß sie doch von ihm, dass er zuhause geblieben ist und dringliche, küchenrollenlängenfüllende Referate in seine Setzkästen sortieren wollte.
Mit leichtem Unbehagen denkt sie schon auf der Fahrt an den schnell frustriert und ungeduldig werdenden Jungen. Das Bild, was sich ihr nach längerer Fahrt beim Eintritt in sein Zimmer bietet, überrascht sie dann auch nicht wirklich:
Da sitzt er nun der Held, die ständig rutschende, ewig müffelnde Windel wie gewohnt um die Hüften geschlungen und starrt mit tiefer Zornesfalte auf seine heißgeliebten Buchstabenklötzchen, während ihm stoßartig gurrende Laute über die Lippen kommen, als ob er innig Zwiesprache hielte mit den Tauben, die wie bekloppt vor seinem Fenster hin- und herschwirren und von denen gelegentlich auch mal eine ordentlich gegen die Scheibe bratzt und dabei mehr als nur ein paar Federn lässt. Bei näherem Hinhören kann das Frl. Rottenmeier dann jedoch die Worte ausmachen, die den eigentlich fürsorglich gedachten Hausbesuch bei Ben-99 zu einer verständnisvollen Einzelerklärung zum Thema "Szene" werden lassen. Das ist es nämlich, genau das, was er dort blubbernd über seine herunterhängende Unterlippe herauslässt: "Szene" - "Wir" - "MEIN Matschberg" - "alles kaputt" und wie zur Bestätigung dessen, fasst er in Mamas großen Gummibaumtopf, greift eine Handvoll Erde, spuckt kurz drauf und - RUMMS - hat er sie dem Frl. Rottenmeier auch schon zur Begrüßung ins Gesicht geschleudert.
Es bleibt ihr nur noch, ein kurzes, zischendes Geräusch auszustoßen, da fängt er auch schon an, mit seiner gewohnt leiernden Stimme dem Frl. Rottenmeier in die Ohren zu lamentieren, "dass der PcFreak sowieso an allem Schuld sei und nun gar nicht mehr sein bester Freund sein könne, zumindest für einige Stunden."
Noch ehe Frl. Rottenmeier auch nur einen Gedanken daran verschwenden könnte, nachzufragen, was denn überhaupt seinen Zorn so heraufbeschworen hat, geht"™s auch schon weiter im Ben"™schen Minnesängerton in die ja nun wirklich einiges gewohnten Ohren des Frl. Rottenmeier, "dass der sich einfach erlaubt hätte, von SEINEM, Bens, mühsam aufgehäuften Matschberg, das Wasser abzugraben und nunmehr selbiges einfach nur noch in den, hinter einem hohen Zaun verborgenen, Spielplatz von PcFreak fließen würde und so was tut man eben nicht, weil der Matschberg schließlich der größte und schönste der ganzen Szene gewesen wäre."
Nun reicht es aber doch. Das Frl. Rottenmeier greift ihn am Arm und zieht ihn neben sich auf den Stuhl, während sie in ihrer als überaus geduldig bekannten Art beginnt, dem Ben-99 seinen aufgestauten "Szenewortschatz" näher zu erläutern:
"Hör mal mein Junge, nun bist du schon so lange in meiner Obhut, ich hörte hier heute immer wieder das Wort "Szene". Es ist doch offensichtlich, dass Du mit dem Wort aber gar nichts anzufangen weißt. Ich streite ja nicht ab, dass Du es wunderbar in deinen Setzkasten füllen kannst und auch wenn du im Umgang mit deinen heißgeliebten Buchstabenklötzen gleich für eine Dreierreihe des Wortes sorgen kannst, so ändert es doch nichts an der Tatsache, dass dir die nötige Zuordnung fehlt.
Komm, schau, lass uns mal gemeinsam aufschlüsseln, welcher Szene Du den gerne angehören möchtest. Ja, ich weiß, da gibt es erstmal die Gummientchenszene, mit denen kannst du dich ja überhaupt nicht identifizieren, da stimme ich dir zu, unterscheiden sich deine Töne doch weit von den dort anzutreffenden Quietschstimmen. Auch mit der Playmobilszene hast du nicht wirklich was am Hut, auch das ist mir aufgefallen. Aber wie wäre es denn zum Beispiel mit der Murmel- oder, noch besser, Kaugummiautomatenszene? Da könntest Du dich, zumindest was Deine Liebe zu Knöpfen und der ständigen Wiederholung des Knopfvolksliedes betrifft, zugehörig fühlen. Hm, nein, auch nicht gut? Ja, dann lass uns mal weiter schauen, wie ist es denn mit der"¦"
"¦und so setzt sich der Nachmittag über Stunden fort mit den verschiedensten Betrachtungen und einem gnadenlosen Beleuchten des Für und Wider der Strumpfbandszene, an der man sich zumindest schon mal festklammern könnte, über die Suppenschüsselweitwurfszene, bei der die zugehörigen Mitglieder sich nach gezielten Würfen gegenseitig gelangweilt die Ministronenudeln aus den Ohren ziehen, bis hin zur Szene der Telefonhörersammler, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ihren Mitgliedern für die Anforderung der zugehörigen Nummer mindestens gleich noch das ganze Telefonbuch vorlesen.
"Nein, nein, nein!" "“ bockig stampft er auf mit dem 99er Beinchen und trotzt jeder der ihm angebotenen Möglichkeiten, startet stattdessen einen seiner lang schon in den Rottenmeier"™schen Ohren verwurzelten Gesang von seiner eigenen und unheimlich wichtigen "Szene-99", während er noch beim Klang dieser Worte eiligst zum Schrank rennt, mühsam raufkrabbelt, nebenbei die rutschende, weitermüffelnde Windel fixierend, dann endlich oben angekommen, die Arme weit ausgebreitet, lauthals brüllt: "Ich bin der König der Welt!" und - RUMMS - segelt er auch schon, von einem letzten Freudenschrei begleitet, polternd vom Schrank"¦.
Da liegt er nun, heult und tobt, die blutende Nase schnell und oberflächlich mit dem Hemdzipfel abgewischt und hört und hört nicht auf zu jammern"¦
Er bemerkt nicht mal, wie das Frl. Rottenmeiner ihn sanft an den Schultern nimmt, aufhebt, vor den Spiegel führt und ihm zum Trost eine alte, verschmutze Krone auf den Kopf drückt, die seine Mama irgendwann einmal mit einem Carepaket "der Vereinigung Mütter schwerst erziehbarer Kinder" geschenkt bekam, und ihm dabei mahnend und beruhigend ins Ohr flüstert: "Schau hin, Du bist ein König, ist sie auch verbeult diese Krone, die ohnehin niemals Glanz besessen hat, so hast du sie dennoch auf dem Kopf, die Krone deiner eigenen "Ben-99-Szene". Ist auch gar nicht weiter schlimm, dass Du in dieser Szene fast schon alleine gefangen bist. Du musst dich nur noch in Geduld üben, bis auch dem letzten Kind an unserer Schule aufgegangen ist, dass sie Dir lieber fernbleiben sollten, denn in dieser Szene ist nur Platz für einen, ganz alleine für Dich, genau so wie hier vor dem Spiegel, der kann auch gerade nur deinen Anblick in seinen schon lange angelaufenen Glasflächen wiedergeben."
Liebe Grüsse
Fräulein Rottenmeier
