Zwei russische Angreifer beobachtet von einer ukkrainischen Drohne

Wie Kranke und Krüppel zum Kampf gezwungen werden

Neulich wurde ein weiterer mobilisierter Russe an die Front geschickt, der in die Kategorie „D“ (wehrunfähig) eingestuft worden war. Nach seiner Verwundung wurde er einer Einheit in Omsk zugeteilt, aber nach zweimonatiger Behandlung wurde er auf Krücken direkt an die Front geschickt. „Du gehst auf Krücken? So, auf Krücken und du gehst zur Infanterie!“ - zitierte Ilja Kowalenkos Frau den Kommandeur seiner Militäreinheit #90600 in einem Interview mit der Redaktion von „Fenster“.

Menschenrechtsaktivisten sagten, dass die Entsendung von Personen der Kategorie „D“ an die Front bereits vor drei Monaten - ab November 2024 - begonnen hat: Sogar diejenigen ihrer Mandanten, deren Ansprüche noch vor Gericht verhandelt würden, würden in den Krieg geschickt.

Alexei Repin

Balaschicha ist eine Großstadt an Moskaus östlicher Stadtgrenze, vom Zentrum der Hauptstadt etwa 25 km entfernt. Im Stadtteil Schelesnodoroschny gibt es militärisches Ausbildungs- und Taktikzentrum, an dem  feierlich ein Wandgemälde eingeweiht wurde.

Das Gemälde zeigt Alexej Alexandrowitsch Repin, geboren 1987 im sibirischen Tjumen. Der Mann war seit 2005 russischer Berufssoldat, der 2014 sich in einen Donbass-Separatisten verwandelte.  Alexej wurde schließlich im April 2024 in der Ukraine getötet. Posthum erhielt er einen Mutorden, den beinahe jeder gefallene russische Soldat verliehen bekommt.

Klassentreffen 1

Am 7. September 24 trafen sich die Schüler der „Akramowskaja Sekundarschule“ mit einem jungen Schulabsolventen. Zur Orientierung - wir befinden uns im kleinen Dorf Akromowo mit knapp 300 Einwohnern. Die Sekundarschule gehört zum Bezirk Morgauschki mit etwa 30.000 Bewohnern, der in der russischen Teilrepublik Tschuwaschien liegt.

Zu Gast war der 19-jährige Jewgeni Wladimirowitsch Sokolow, hier vermummt auf dem Bild oben, der sich auf Urlaub vom Kriegsdienst befand und der zum Schulanfang von seinen Erfahrungen im Krieg gegen die Ukraine berichtete.

Artem Urazbajew Artem Scherebtsow
Sergej Aljakin Haupschew Brueder

Fünf russische Wehrpflichtige mussten im Juli/August 2024 ihren Wehrdienst antreten. Sie kamen zunächst nach Tschebarkul in der Region Tscheljabinsk zur Grundausbildung. Im Herbst wurde die Einheit in die Region Swerdlowsk verlegt, wo die jungen Soldaten innerhalb von zwei Wochen als Scharfschützen ausgebildet wurden. Statt zurück nach Tschebarkul wurde die gesamte Einheit in die Region Belgorod verlegt - zur Grenzsicherung.

Zuvor wurde ihnen angeboten, einen Vertrag zu unterschreiben, ihnen wurde versprochen, dass sie dann nirgendwohin geschickt würden. Aber diejenigen, die unterschrieben hatten, mussten genau auf dieselbe Weise ins Kriegsgebiet ziehen“, sagte der Vater eines Wehrpflichtigen der Presse.

Alexej Schiljajew

Ein Militärsanitäter desertiert aus der russischen Armee

Im November 2023 beschloss Alexej Schiljajew (Foto oben), ein 39-jähriger IT-Spezialist aus Murino bei St. Petersburg, als Sanitäter der russischen Streitkräfte in den Krieg in der Ukraine zu ziehen. Im August 2024 desertierte er und floh nach Frankreich, wo er nun auf politisches Asyl wartet. Alexej behauptet, er habe nicht an den eigentlichen Kampfhandlungen teilgenommen, nicht geschossen und niemanden getötet, sondern nur seine Pflichten als Sanitäter erfüllt. Wir können seine Angaben weder bestätigen noch dementieren, da seine Aussagen derzeit von den französischen Behörden überprüft werden.

Wladimir Aleksejewitsch Rodionow

Wladimir Aleksejewitsch Rodionow, geboren am 23. Juli 2005, kam aus Tjumen und musste seinen Wehrdienst ableisten. Auch er wurde mit drastischen Maßnahmen "überredet", einen Militärvertrag abzuschließen. Zusammen mit neun anderen Soldaten wurden sie in einer Stellung von ukrainischen Drohnen angegriffen. Nach seinen Aussagen im Verhör wurden neun seiner Kameraden getötet, Wladimir hatte das Glück zu überleben und wurde gefangen genommen.

Wladimir erzählte auch davon, dass ihnen versprochen wurde, dass sie zu den Eisenbahntruppen geschickt und Straßen bauen würden. Sie würden vom Krieg nichts mitbekommen.

Wir halten das Verhör von Wladimir für authentisch und veröffentlichen es mit deutschen Untertiteln. Die Übersetzung der Untertitel ist nicht perfekt. Und nicht alles ist ganz verständlich, z.B. wenn von "Fleisch" gesprochen wird, dann sind die Soldaten gemeint, die auf selbstmörderische Angriffe geschickt werden. Und 200 bedeutet, Cargo-200, das sind die Toten vom Schlachtfeld.

Jewgeni Sergejewitsch Schijanow

Von der Insel Sachalin zum Krieg in die Ukraine ist es ein weiter Weg - etwa 6.600 km Luftlinie. Oder in etwa die Strecke von Frankfurt nach Washington DC. Jewgeni Sergejewitsch Schijanow, geboren am 26. August 2005, kam aus dem Dorf Boschniakowo, das im westlichen, mittleren Teil der Insel liegt.

Jewgeni Sergejewitsch Schijanow Das Dorf hat schon bessere Tage gesehen und war sogar mal eine Stadt.  Im Jahr 1959 lebten dort 5.500 Menschen und als die dortige Kohlenmine geschlossen wurde, wanderten die Menschen ab. Heute leben weniger als 800 Einwohner im Dorf.

Jewgeni Schijanow (Foto rechts) wurde von Kind an zum Soldatentum erzogen.

In der Schulzeit war er Mitglied der Junarmija: Die Kinder und Jugendlichen werden an die Waffensysteme der russischen Streitkräfte herangeführt, pflegen Kriegerdenkmale, bewachen Plätze mit der „Ewigen Flamme“ und paradieren bei öffentlichen Veranstaltungen.

Sterlitamak 1

Sterlitamak ist die zweitgrößte Stadt in Baschkortostan mit etwa 280.000 Einwohnern. Vom 19. Januar 25 wird von vier Beisetzungen gefallener Soldaten aus der Stadt berichtet.

Sneschnoje

Die Hauptstraße von Sneschnoje -- Foto: Visitnord.ru

Das Dorf Sneschnoje stirbt langsam aus. Im Jahr 2010 lebten dort noch 311 Bewohner, 13 Jahre später sind nur noch 231 Menschen übrig und wahrscheinlich noch weniger. Das Dorf wurde 1929 gegründet, um die halbnomadisch lebenden Tschuktschen fest anzusiedeln. Sneschnoje besitzt keinen festen Straßenanschluss. Es ist per Hubschrauber sowie in der eisfreien Zeit per Schiff von Anadyr über Ust-Belaja zu erreichen - Reisezeit eineinhalb Tage.

Mitte Januar berichtete die Bezirksverwaltung von Anadyr, dass ein Einwohner des Dorfes Sneschnoje  während der "speziellen Militäroperation" getötet wurde.

Bolsheohtinskoe cemetery entrance

Bolscheochtinskoje-Friedhof -- Foto: Bogdanov-62 -- Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die lokalen offiziellen Stellen in Russland geben nur in seltenen Fällen Informationen über die im Krieg getöteten Soldaten aus ihrer Region heraus. Deshalb ist das Absuchen der Friedhöfe ein probates Mittel, den Fakten etwas näher zu kommen.

Uns liegen zwei Filme über Kriegsgräber von Toten aus dem Krieg gegen die Ukraine aus St. Petersburg vor. Beide Filme sind wackelige Handyvideos, die sich auf das Zeigen der entsprechenden Gräber konzentrieren und sind für nichts anderes gedacht. Wir stellen diese Filme nur zum Zwecke der Dokumentation vor, da wir in unseren Listen der getöteten Soldaten auf diese Filme verweisen.

Tupakovo

Foto: Pesotsky -- Lizenz: CC BY 3.0

Das Foto oben zeigt im Vordergrund das Dorf Tupakowo in der russischen Teilrepublik Baschkortostan mit etwa 700 Einwohnern. Die Stadt im Hintergrund mit den vielen Schornsteinen ist die Großstadt Magnitogorsk in der Oblast Tscheljabinsk. Magnitogorsk ist das Zentrum der russischen Stahlindustrie und dazu eine echte Großstadt mit über 400.000 Einwohnern.

Fanil Jachijewitsch GinijatowJetzt ist Winter in der Region und wir wollen eine kurze Geschichte erzählen, die mit diesen beiden Orten zusammenhängt. Fanil Jachijewitsch Ginijatow wurde am 1. Mai 1961 in Tupakowo geboren. Er ging im Dorf zur Schule und absolvierte danach eine Ausbildung zum Traktorfahrer.  Noch zu Zeiten der Sowjetunion leistete er vom Jahr 1979 bis 1981  seinen Wehrdienst in der Sowjetarmee.

Fanil hätte seine Karriere im Eisen- und Stahlwerk Magnitogorsk begonnen, heißt es in seiner Biografie. Aber von einer Karriere ist weit und breit nichts zu sehen, Fanil malochte sein ganzes Arbeitsleben lang im Stahlwerk als einfacher Arbeiter.

Baimak Baschkortostan

Stadt Baimak im Jahr 2010 -- Foto: SportInRoB -- Lizenz: CC BY-SA 3.0

In der Stadt Baimak gab es Anfang 2024 die einzige öffentliche Großdemonstration seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine. Die Menschen protestierten gegen die Verurteilung eines baschkirischen Umweltaktivisten. Zahlreiche Demonstranten wurden inzwischen verurteilt, der Bezirk ist verstummt und mehrfach wöchentlich werden getötete Soldaten aus dem Bezirk beigesetzt.

In unserem ersten Bericht haben wir die Kriegstoten des Dezember bis zum 16.12.24 dokumentiert, am 18. Dezember war das nächste Begräbnis und bis Anfang Januar 25  gab es mindestens fünf  sieben weitere Beisetzungen.

Wir dokumentieren die Originalbeiträge übersetzt zusammen mit den Fotos. Die Trauerfeiern finden meist vor dem Haus des Toten statt, die Fotos dokumentieren ganz gut die Lebenumstände der Angehörigen.

Alle Texte haben wir der besseren Lesbarkeit nicht kursiv gesetzt. Es ist zu erwarten, dass die Orginalbeiträge bald gelöscht werden.

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