OMVielleicht gibt es noch Leser von uns, die sich an die fünfziger und sechziger Jahre erinnern. Damals gab es unter den ehemaligen Soldaten des zweiten Weltkriegs viele Männer mit schweren, bleibenden Kriegsverletzungen. Schüsse und Granatensplitter hatten Gesichter entstellt und/oder schwere Gehirnschäden verursacht, auf der Straße traf man Männer mit amputierten Armen oder sah Kriegsversehrte ohne Beine im Rollstuhl sitzend.

Inzwischen gibt es aus Russland auch Berichte (Übersetzung), die von einem deutlichen Anstieg an Männern mit Behinderungen berichten, alle im wehrfähigen Alter. Geht man von unserer aktuellen Prognose aus, dann wurden durch den Krieg in der Ukraine 280 Tausend Soldaten verletzt und müssen teilweise mit starken Behinderungen leben.

Wenn wir zur besseren Einschätzung die deutsche Großstadt Köln mit etwa einer Million Einwohnern heranziehen, dann hätten alle Männer im wehrfähigen Alter aus Köln eine kriegsbedingte Behinderung. Die Einwohnerzahl Russlands entspricht ganz ungefähr der Bevölkerung von Deutschland und Frankreich zusammen.

In den Kommentaren zu all den Todesmeldungen in den russischen sozialen Medien und auch in den regionalen Nachrichten können wir keine Kriegsmüdigkeit der russischen Bürger erkennen. Teilweise nehmen die Kommentare an Schärfe zu, immer mit dem Tenor "Wir müssen unbedingt gewinnen, koste es was es wolle". Und die regionalem Medien bedienen immer noch die üblichen Narrative. Wir befreien die Menschen in der Ukraine vom Joch des Nazissmus, wir kämpfen für einen friedlichen Himmel über unseren Köpfen und gegen den anglikanischen (US) Imperialismus, der die Bürger der Ukraine als Geiseln hält.

Allerdings wissen wir auch, dass all der Militarismus, der sich in Russland wie ein Tumor in alle gesellschaftlichen Bereiche gefressen hat, von der Grundschule bis zur Erwachsenenbildung und zu Freizeitaktivitäten, nicht alle Menschen infiziert hat. Die treffen wir in den von uns beobachteten Bereichen eher selten an. In soweit müssen wir mit einer Verallgemeinerung vorsichtig sein.

Die russische Regierung reagiert zur Zeit wie ein Verlierer am Roulettetisch. Um die enstandenen Verluste an Menschen und Material auszugleichen, agiert sie mit immer höherem Einsatz, um doch noch zum Erfolg zu kommen. Man braucht dringend diese militärische Erfolge, um eine Rechtfertigung für all die bisherigen Kriegstoten, für den extremen Verlust an Kriegsgerät und den Einsatz immer höherer Geldmittel zu haben. Nur so sind die ständig steigenden Zahlen der russischen Kriegstoten zu erklären. All das dient der Erhaltung der bisherigen Machtstrukturen im Kreml.

Aus unseren ermittelten Zahlen ergeben sich folgende Einschätzungen:

  Ermittelte
Kriegstote
Geschätzte
Kriegstote
Geschätzte
Verletzte
Geschätzte
Gesamtverluste
Unsere Statistik, Stand 15.03.24 48.154 80.000 280.000 360.000
BBC, Stand 06.03.24 46.678 92.000 k.A. k.A
Britischer Geheimdienst,  03.03.23, Veröffentlichung
      355.000

Anmerkungen:

Die hier veröffentlichten Zahlen an russischen Kriegstoten stammen aus öffentlich zugänglichen Quellen. Sie setzt sich zusammen aus den  regionalen Medien in Russland, aus regionalen systemkritischen Quellen, aus Telegramkanälen, durch nicht von uns betriebene Bots, die die sozialen Netzwerke VKontakte, OK und Instagram auf Stichworte durchsuchen und durch Hinweise von Internetnutzern. Die überwiegende Anzahl der Todesmeldungen stammt aus den sozialen Medien.

Die so ermittelten Daten werden von uns in einem zweiten Schritt auf Richtigkeit, auf Regionen und andere Inhalte überprüft. Viele Todesmeldungen werden aus den unterschiedlichsten Gründen schnell gelöscht. Hier versuchen wir andere Quellen zu finden. In der Regel veröffentlichen wir zu jeder Meldung den Link auf die Originalquelle. Wurde diese zwischenzeitlich gelöscht, dann wird ein Screenshot mit veröffentlicht. Für den Fall späterer Löschungen, staatlicher Zensur von Informationskanälen  oder Löschungen von Initiativseiten in den sozialen Medien, haben wir alle Meldungen zusätzlich archiviert.

Wir wissen, dass wir mit unseren Zahlen nur bedingt die Realität abbilden. Viele Kriegstote werden öffentlich verschwiegen. Das bringt uns zu folgenden Überlegungen:

  • Der ehemalige russische Offizier Vitaly Votanovsky hat die Friedhöfe in der gesamten Region Krasnodar aufgesucht und dabei die Gräber von Kriegstoten ermittelt, die von den Medien nicht veröffentlicht wurden. Man kann also davon ausgehen, dass zumindest in dieser Region die meisten gefallenen Soldaten auch erfasst wurden. Insgesamt haben wir in Krasnodar (Stand 15.10.23) 1.167 gefallene Soldaten gelistet, davon wurden 699 in den Medien veröffentlicht, Vitaly Votanovsky oder seine Mitstreiter haben bis zu diesem Zeitpunkt die Gräber von 468 weiteren Gefallenen aufgezählt. Das bedeutet, dass in der Region Krasnodar gerundet etwa 60% aller Kriegstoten durch die Medien veröffentlicht wurden. 
  • Auch am Beispiel der Toten von Makijiwka ergeben sich ähnliche Relationen. 89 tote Soldaten wurden gemeldet, wir haben 137 gelistet, das ergibt etwa 65 Prozent der öffentlich gemachten Opfer.
  • Der britische Geheimdienst hat zuletzt am 04.12.23 sich zu den russischen Verlustzahlen geäußert. Nach seinen Angaben hätte Russland 50.000 tote Soldaten und 20.000 getötete Wagnersöldner zu verzeichnen. Dazu kämen 180.000 bis 240.000 verwundete Soldaten und 40.000 verwundete Wagner-Söldner. Die Anzahl der getöteten Wagner-Söldner bezieht sich übrigens auf eine Aussage von Jewgeny Prigoschin vor seiner Attacke auf das russische Militärsystem.
  • Die Kriegstoten stellen aber nur einen Teil der Opferzahlen dar. Viele Soldaten wurden schwer traumatisiert – an Körper und Seele. Die BBC trifft dazu folgende Aussage: Nach Beobachtungen des US Center for Naval Analysis kommen auf jeden russischen Soldaten, der während des Krieges in der Ukraine getötet wurde, im Durchschnitt etwa dreieinhalb Verwundete.

Aktuell haben wir die Kriegstoten auf einem Denkmal in Solnetschnogorsk, Region Moskau, erfasst und dabei festgestellt, dass wir etwa 60% aller Namen bereits in unserer Datenbank hatten. Bei den dort veröffentlichten Söldnern der Gruppe Wagner war es allerdings umgekehrt, hier kannten wir nur den kleineren Teil der Kriegstoten. Auch das bestätigte unsere Erfahrungen.

Dem gegenüber bleibt die BBC bei ihrer Einschätzung, dass sie nur etwa die Hälfte aller Kriegstoten erfassen würden. Zitat: "Zu diesem Schluss kamen wir durch eine systematische Untersuchung der Situation auf Friedhöfen in 70 russischen Siedlungen."

Dieser Einschätzung können wir uns nicht anschließen, da wir doch zahlreiche Regionen Russlands kennen, in denen Freiwillige den überwiegenden Teil der Kriegstoten erfassen (Beispiele: Burjatien, Irkutsk, Krasnodar, Tschuwaschien, Pskow)  oder wo die Verwaltungen alle Verluste in ihren Telegram-Kanälen veröffentlichen (Beispiele: Komi, Sachalin).