Aleksej Janik kam aus dem Dorf im Automomen Kreis der Tschuktschen. Das Dorf ist das Zentrum einer großen Rentierzuchtfarm mit etwa 600 Bewohnern. Im kurzen Sommer kann man es innerhalb von 2-3 Tagen mit dem Schiff erreichen, sonst bleibt nur die Anreise mit dem Hubschrauber.
Alexej, geboren am 25. Juli 1993, hatte den Beruf eines Schweißers erlernt und arbeitete in der Region. Auch Alexej wollte einmal in seinem Leben viel Geld verdienen und schloss im Jahr 2024 einen Vertrag mit dem russischen Militär. Aus gutem Grund nennt die Nachrichtenagentur aus Tschukotka kein genaueres Vertragsdatum. Auch Alexejs Vertrag hatte eine kurze Laufzeit, Anfang Oktober 24 wurde er getötet. Er soll in den dortigen Kohlegruben beigesetzt werden.
Wenn die Meldungen über russische Kriegstote mit Gedichten verziert werden, dann hat man wenig Lust weiter zu lesen. Es sind meist holprig formulierte Machwerke, die versuchen, den banalen Tod eines Soldaten mehr oder weniger kunstvoll zu überhöhen.
Aber manchmal findet man auch ein interessantes Gedicht:
Es kam eine Vorladung zum Einberufungsbüro des Militärs,
Ich lege mich hin und höre meine Frau
Mit der ganzen Familie teilt sie meine Haut
Ich wurde im Kampf getötet.
Meine Frau und Schwiegermutter drängen mich -
Geh zum Einberufungsamt!
Sie packen meinen alten Rucksack,
Einen Laib Brot, einen Becher, einen Doschirak*.
Ergeben Sie sich nicht törichterweise!
Und verschwinden Sie nicht!
Sorgt dafür, dass die Leiche ordentlich verarbeitet wird!
Sieh zu, dass wir unsere Särge** bekommen!
Was für ein Witz, sieben Millionen!
Wir werden alles kaufen, was wir wollen!
Wir werden unsere Kredite abbezahlen!
Und im Sommer fahren wir alle auf die Krim!
Meine Frau schreit: Ich werde ein Auto kaufen!
Mein Sohn will einen Motorroller,
und mein Schwiegervater will ein neues Gewächshaus
Und eine Schnapsbrennerei.
Und mein Schwiegervater schreit: Sei ein Held!
Du wirst der erste sein, der angreift!
Und da wurde mir endlich klar
wie viel ich meiner Familie bedeute.
* russische Instantnudeln
** Sarggeld, staatliche Auszahlung für toten Soldaten
Hinter dem Begriff Grenzschutz verbirgt sich auch ein russischer Euphemismus. Russische Wehrdienstleistende dürfen nicht im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Aber wenn man dringend Soldaten braucht, dann werden die jungen Männer schnell zu Grenzschützern umfunktioniert, die auch in den umkämpften Regionen Kursk, Brjansk und Belgorod eingesetzt werden. Und so kommt es, dass häufig auch Wehrdienstleistende Opfer dieses Krieges werden. Ein aktuelles Beispiel:
Almaz Minijarow aus dem kleinen Dorf Metewtamak in Baschkortostan war so ein Wehrdienstleistender. Er hätte nur noch zwei Monate in der Armee verbringen müssen und wurde als "Grenzschützer" in der umkämpften russischen Region Belgorod eingesetzt. Eine Drohne beendete sein Leben. Am 12. Oktober 24 wurde er in seinem Heimatdorf bestattet.
Es ist mehr als ein Skandal, wie Russland mit seinen ethnischen Minderheiten umgeht.
Ganz im Norden der Region Krasnojarsk liegt die Taimyr-Halbinsel. Auf Grund der extrem kalten Witterungsbedingungen ist die Halbinsel kaum besiedelt. Dörfer gibt es nur im Süden entlang der im Sommer schiffbaren Flüsse.
Nosok (Socke) ist so ein Dorf mit 1.800 Bewohnern, das am Ufer des Uschakow-Kanals an der Mündung des Flusses Jenissei liegt. Die Bewohner sind überwiegend Nenzen, die traditionell leben und Fischfang, Jagd und Rentierzucht betreiben.
Nikita Eduardowitsch Japtune (Foto) war ein junger Nenze aus dem Dorf Nosok. Er wurde am 18. August 2003 geboren und ist aus unbekanntem Grund im Krieg gegen die Ukraine gelandet. Die Menschen dort leben in einer Informationsblase, der Krieg ist weit weg und sie glauben der Propaganda und dem vielen Geld der Regierung. Zudem nimmt das Militär solche durch das raue Klima abgehärtete junge Menschen gerne für den Stellungskrieg in den Schützengräben. Doch auch für Nikita war der Krieg im Oktober beendet. In Taimyr sammelt man jetzt Spenden für seine Beisetzung.
Asat Scharapow, geboren am 15. Dezember 1977, kommt aus der Stadt Utschaly in Baschkortostan und scheint bei guter Gesundheit zu sein - im Gegensatz zu all den anderen Menschen, über die wir hier berichten. Laut seinem Status ist er zudem auf aktiver Partnersuche. Mitte Juli hat er sich ein neues Auto gekauft, dem Innenraum nach zu urteilen ein ausländisches Modell.
Das konnte er sich auch leisten, denn sein Sohn war in den Krieg gegen die Ukraine gezogen, ging Ende Oktober 2023 los, um Essen zu organisieren und kam nicht wieder. Mit der staatlichen Abfindung beim Tod eines Angehörigen im Krieg kann man sich bequem ein neues Auto leisten.
So kam es, dass zuerst das neue Auto da war und die sterblichen Überreste seines Sohnes viel später bei Asat ankamen. Am 10. Oktober 24 teilte er mit, dass sein Sohn Denis Asatowitsch Scharapow (Foto), geboren am 10.11.2000, am 14. Oktober bestattet würde.
OM, 24.10.24
Kirill Wjunow kommt aus der Region Krasnojarsk, ist 20 Jahre alt und leistet seinen Wehrdienst in der Region Kurgan. Am 14. Oktober 24 hatte Kirill plötzlich viel Geld auf seinem Konto. Der russische Staat hatte ihm 405.000 Rubel überwiesen, also etwa 4.000 €. Das entspricht der Prämie, die der Staat zahlt, wenn Wehrpflichtige einen Vertrag mit dem russischen Militär abschließen.
Nur - Kirill hatte keinen Vertrag abgeschlossen und hat das auch nicht vor. "Ich bin Mechaniker. Ich bin erst 20 Jahre alt, ich habe gerade erst die Fachschule abgeschlossen. Ich habe überhaupt keine weiteren Pläne. Ich will einfach nur lebendig von hier zurückkommen“, sagt Kirill.
Wie Kirill ging es auch sechs weiteren Wehrpflichtigen der Einheit. Der Staat weigert sich, das Geld zurück zu nehmen und für Kirill scheint die Sache aussichtslos. "Aber morgen sollten wir nach Rostow und an die Grenze geschickt werden. Ich verstehe, dass dies eine Einbahnstraße ist. Ich hatte nie vor, einen Vertrag zu unterschreiben, und das habe ich auch nicht vor! Helft mir hier rauszukommen," schreibt er.
Toljatti ist eine Großstadt in der Region Samara mit etwa 660.000 Einwohnern. Sie ist die Autostadt Russlands. Im dortigen AwtoWAS-Werk werden Autos der Marke Schiguli gefertigt, die in Deutschland unter dem Namen Lada verkauft wurden. Und richtig - der Name der Stadt klingt wenig russisch. Sie wurde nach dem italienischen Kommunisten und langjährigen Vorsitzenden der dortigen kommunistischen Partei Palmiro Togliatti benannt.
Der Kleinbus mit den Lautsprechern auf dem Dach ist für eine Autostadt wohl wenig attraktiv. Aber er lobt eine Menge Geld aus - zwei Million Rubel für eine Unterschrift unter einen Vertrag mit dem russischen Militär:
Diese ungewöhnliche Werbemaßnahme zeigt, dass es für die Rekrutierer immer schwieriger wird, neue Soldaten für die "Fleischangriffe" an der Front zu gewinnen.
OM, 22.10.24
Das Dorf Warschawka in der Oblast Tscheljabinsk wurde nach der polnischen Hauptstadt Warschau benannt - nicht aus Freundschaft, sondern weil im Jahr 1831 der russische Zar Warschau erobert hatte. Das Dorf hat gerade mal tausend Bewohner und erwartete am 14. Oktober 24 die Heimkehr von Anton Sergasinow, der erfolglos versucht hatte, die Ukraine zu unterwerfen. Anton, geboren am 3. August 2003, hatte sich im Juli 2004 beim Militär für den Kriegsdienst eingeschrieben und war bereits am 6. September getötet worden. So kam Anton im Zinksarg nach Hause.
Solch ein schneller Tod eines 21jährigen jungen Menschen wirft Fragen auf:
- Was hat ihn zum Militär getrieben?
- Warum hat ihn niemand aufgehalten?
- Warum wurde ein junger Mann ohne Kriegserfahrung gleich in den Angriff geworfen?
Keine dieser Fragen wurde öffentlich gestellt oder gar beantwortet. "Sein Verlust wurde zu einer Tragödie für alle: Familie und Freunde, Mitbewohner im Dorf... Helle Erinnerungen an einen Menschen, der sein Leben ehrlich und in Würde lebte und die Früchte seiner guten Taten hinterließ, werden immer stärker sein als der Tod," heißt es im Nachruf.
Schon mehrfach hatten wir über die sibirische Stadt Ust-Kut berichtet, im dortigen Bezirk lebte Sergej Pawlowitsch Lunegow. Der Mann hatte sich auch der russischen Armee im Krieg gegen die Ukraine angeschlossen und wurde bereits am 1. März 2023 an der Front getötet. Es dauerte ziemlich lange, bis die sterblichen Überreste von Sergej in seine Heimat gebracht wurden. Am 5. Oktober wurde er dann im Dorf Jantal im Bezirk Ust-Kut bestattet. Die Trauerfeier fand in der Nähe des Kulturhauses "Ukraine" statt.