Jelisowo

Naturpark Nalitschewo bei Jelisowo -- Foto: Rost.galis -- Lizenz: CC BY-SA 4.0

Unsere Reise quer durch Russland führt uns heute in die Stadt Jelisowo mit knapp 40.000 Einwohnern, die sich im "Fernen Osten" Russlands auf der Halbinsel Kamtschatka befindet. Die Stadt ist so etwas wie ein regionales touristisches Zentrum auf der Halbinsel in der Nähe des Kronozki-Biosphärenreservates.

Wie sehr in Russland die schulische und die militärische Ausbildung ineinander verwoben sind, zeigt der kleine Film der Sekundarschule Nr. 2 aus Jelisowo. Dort wird ein "Heldenschreibtisch" eingeweiht, der einem jungen Schulabsoventen gewidmet ist - getötet im Krieg gegen die Ukraine. Anton Pawlowitsch Juschakow, geboren am 19.07.2000, getötet am 6. Dezember 2023. Wie Anton im Krieg gelandet ist, erfahren wir nicht.

Sadonsk Sadonsk am Don -- Foto: Алексей Задонский -- Lizenz: CC BY-SA 4.0

Im Westen Russlands in der Region Lipezk liegt die Kleinstadt Sadonsk. Die Stadt liegt am linken Ufer des Don und hat etwa 10.000 Bewohner. Viel Industrie gibt es dort nicht, einige große Betriebe schlossen in den neunziger Jahren. Es gibt große Pläne, die landschaftlich schön gelegene Stadt touristisch und kulturell zu entwickeln, aber Russlands Ressourcen fließen ja in den Krieg.

Eine Anekdote zur Stadt - die Bürger von Sadonsk litten unter dem extremen Schwerlastverkehr, der sich auf einer Fernstraße durch die Stadt schlängelte. So wurde eine Umgehungsstraße gebaut. Doch die wurde dann mautpflichtig, so dass der Verkehr sich wieder durch die Stadt ergießt.

In Sadonsk ist auch das Gefangenenlager IK-6 der Region Lipezk angesiedelt. Auch dort wurden Insassen für die Sturm-Z Einheiten rekrutiert, die meisten werden nicht überlebt haben. Eine Frau aus der Region hat über die getöteten Lagerhäftlinge einen Film zusammengestellt und nennt 32 Namen - viele davon sehr jung.

Polyssajewo Kussbass

Wir befinden uns Mitte September 2024 in der Stadt Polyssajewo im russischen Kohlerevier Kussbass (Kemerowo). Die Stadt hat etwa 25.000 Einwohner und ist aus der Kohleförderung heraus entstanden, Im Jahr 1952 wurde sie als Arbeitersiedlung zweier Kohleminen gegründet.

Jetzt gibt es auch eine "Heldengasse" in Polyssajewo, die den gefallenen Soldaten im Krieg gegen die Ukraine gewidmet ist. Die Einweihung dieser Ehrengasse mit etwa 20 Schaubildern der getöteten Soldaten aus dem Ort zeigt der etwa 10 Minuten lange Film.

Mit Balettszenen wird das Sterben jener Männer künstlerisch überhöht, bis dann jene Toten zum "ewigen Leben" emporsteigen. Getreu dem sehr dummen Motto, das man bei fast jeder Todesnachricht lesen muss: "Ein Krieger zu sein, bedeutet ewig zu leben."

 Belorezk

Die Stadt Belorezk liegt im Süden Baschkortostans mit knapp 65.000 Einwohnern. Das wirtschaftliche Gerüst der Stadt ist die metallverarbeitende Industrie, die aber wirtschaftlich auf wackligen Beinen steht. Im Gegensatz zu der Gesamtbevölkerung von Baschkirien überwiegen in Belorezk die Russen, die beinahe 70% der Einwohnerschaft stellen.

Am 4. Oktober 24 fand die Beisetzung von Wladislaw Anatoljewitsch Minejew in Belorezk statt. Der junge Mann stammte aus der Stadt, wurde am 16.04.1997 dort geboren und arbeitete als Mechaniker im Hüttenwerk von Belorezk. Das war sicher kein Traumberuf und so wollte Wladislaw ziemlich sicher schnell viel Geld verdienen, auch wenn das im Nachruf ganz anders klingt. Wladislaw meldete sich im Juni 24 für den Kriegsdienst, bereits am 6. August 24 war er tot.

Der offizielle Nachruf der Stadt:

Bogdan Armenowitsch ObwinzewZwei kurze Nachrufe, die mehr über die russische Gesellschaft aussagen als lange Traktate, wollen wir euch aus der Republik Udmurtien vorstellen. Der Erste kommt von der Sekundarschule des Dorfes Kalaschur mit mehr als 300 Bewohnern. Der zweite Nachruf wurde von einer Lehrerin geschrieben, die an einer Berufsschule in der nächst gelegenen Stadt Sarapul mit immerhin 100.000 Bewohnern unterrichtet.

Es geht dabei um Bogdan Armenowitsch Obwinzew, geboren am 18.04.2006, der sich im August 2024 ohne militärische Ausbildung freiwillig zum Kriegsdienst verpflichtet hat, bereits am 19. September getötet und am 27.09.24 in seinem Heimatdorf begraben wurde. Auch der Jesus mit der Dornenkrone auf seiner Uniformjacke hat ihm nicht geholfen.

Bolschoi Mogoi

Verlassene Kirche in Bolschoi Mogoi -- Foto: Tadusj -- Lizenz:CC BY-SA 4.0

Das Foto zeigt eine verlassene Kirche im Dorf Bolschoi Mogoi in der russischen Region Astrachan. Das Dorf hat etwa 1.000 Einwohner, befindet sich im Flussdelta der Wolga und liegt 15 Meter unter dem Meeresspiegel. Die Bewohner sind überwiegen kasachischer Abstammung.

Ein junger Mann, getötet im Krieg gegen die Ukraine, wurde am 20. September auf dem Friedhof rechts von der Kirche bestattet.

Heldenschreibtische Stadt Progress Amur

Zur Orientierung - Progress ist eine städtische Siedlung in der Region Amur im "Fernen Osten" Russlands mit knapp 10.000 Einwohnern. Auf dem Foto oben sieht man die Aula der Sekundarschule Nr. 4 von Progress.

Und wie in jeder Schule in ganz Russland muss die Schulverwaltung Gedenktage durchführen, zu Ehren der im Krieg gegen die Ukraine gefallenen Schulabsolventen. Dazu gehört auch die Einweihung von sogenannten Heldenschreibtischen, die mit einer regelmäßig geschönten Vita des gefallenen Soldaten versehen sind und an denen dann die besten Schüler sitzen dürfen. Am 20. September 24 wurden drei Heldenschreibtische eingeweiht.

Einer der Schreibtische ist dem jungen Sergej Anatoljewitsch Tichy gewidmet, der als Freiwilliger sich zum Kriegsdienst entschieden und dessen militärische Karriere ein schnelles Ende gefunden hat.
Wir dokumentieren und übersetzen dessen Tischplatte.

Orlan Nurzhuk oolowitsch Saryg Dongak Der Mann auf dem Foto ist Orlan Nurzhuk-oolowitsch Saryg-Dongak aus der russischen Teilrepublik Tuwa. Er trägt die Uniform eines Oberst der Polizei. Auch er ist im Krieg gegen die Ukraine getötet worden und wurde am 21. September 24 beigesetzt. Komisch war, dass die Meldung seines Todes nach kurzer Zeit gelöscht wurde.

Eine kurze Recherche brachte folgendes Ergebnis: Der Polizeioberst hatte im Dienst einen Mord begangen und war am 14. März 24 in zweiter Instanz zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Auch der Rang eines Oberst wurde ihm aberkannt. Aber lasst uns die Geschichte etwas ausführlicher erzählen:

Wladislaw Andrejewitsch JurassowAm 6. August 24 drangen erstmalig ukrainische Truppen auf russisches Territorium vor. Die Offensive bei Kursk überraschte die dort stationierten russischen Truppen und Grenzschützer völlig, unerfahrene Wehrpflichtige und Grenzbeamte ergaben sich oder wurden getötet. Da Wehrpflichtige nicht in jener "speziellen Militäroperation" eingesetzt werden dürfen, kam die verantwortliche Militärführung in Erklärungsnot gegenüber den aufgebrachten Müttern der jungen Männer. So kam es auch zu einem schnellen Gefangenenaustausch mit dem ukrainischen Militär.

Doch auch eine ganze Zeit später wurden Wehrpflichtige in der Region Kursk eingesetzt und im Kampf getötet, wie das Beispiel des 21-jährigen Wladislaw Andrejewitsch Jurassow zeigt.

Eduard Schakmaew 6

Wieder einmal sind wir bei einer Bestattung einer im Krieg getöteten Soldaten in einem kleinen Dorf in Baschkortostan. Der 54-jährige Eduard Schakmaew wurde am 14. September 24 in seinem Heimatdorf Novoakbulatowo beigesetzt.

Das Dorf hat etwa 500 Einwohner, der nächste Bahnhof ist etwa 130 km entfernt. Über Eduard wissen wir bis auf sein Alter nichts, aber darauf kommt es uns auch nicht an. Die Fotos zeigen sehr gut die Lebensumstände in diesem abgelegenen Dorf. Die Beisetzungsfeier findet in der Nähe des Wohnhauses von Eduard statt. Man sieht einfache Holzhäuser mit Blechdach, verwitterte Zäune und abgearbeitete Bewohner des Dorfes. Die Straßen sind einfache Schotterpisten, keine Straßenbeleuchtung und sicher auch keine Kanalisation. Und die Blumen auf den Kränzen sind aus Plastik - wie bei fast allen Beerdigungen in Russland.

Alexander Alexandrowitsch BuslajewEtwa 110 km südöstlich von Moskau liegt die Großstadt Kolomna mit über 130.000 Einwohnern. Aus dieser Stadt kam Alexander Alexandrowitsch Buslajew, geboren am 2. Oktober 1986 und getötet im Krieg gegen die Ukraine am 28. April 24. Es hat bis zum September gedauert, dass seine sterblichen Überreste zur Beisetzung nach Kolomna kamen.

Seine Frau hat einen lesenswerten Nachruf auf Alexander verfasst, der viel über die Einstellung der Bevölkerung zum Krieg verrät. Die vielen betenden Hände haben wir der besseren Lesbarkeit entfernt, den Film dokumentieren wir nur, weil sich der Text darauf bezieht:

Igor Andrejewitsch Skrebkow

Der Mann auf den Fotos ist Igor Andrejewitsch Skrebkow, geboren am 12.03.97, getötet im Krieg gegen die Ukraine am 22. Januar 2024. Seine Tante hat im März 24 öffentlich nach ihm gesucht, da war der Familie sein Verbleib noch nicht bekannt. Sein Rufzeichen war übrigens "Spatz".

Aus den russischen Toten im Krieg kann man auch ein Geschäft machen, indem man sie zu Helden erhebt, ihre Gesichter in martialische Militärausrüstung montiert, dazu im Hintergrund viel Feuer und Fahnen wehen lässt, eine Heldensaga dazu schreibt und schließlich ein Buch zusammenstellt - Das Buch der Erinnerung.

Man kann gut erkennen, dass das Gesicht von "Spatz" auf dem rechten Foto in das linke Heldenbild eingefügt wurde.

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