BlauerSee

Blauer See -- Foto: Vlad Tschernenko -- Lizenz: CC BY-SA 3.0

Anatoli JekamasowViele Sehenswürdigkeiten hat der Bezirk Sergijewski in der Region Samara nicht aufzuweisen. Da gibt einen (niederen) Berg, der durch seinen Reichtum an Pflanzen berühmt ist und den blauen See. Das ist ein tiefes, steil abfallendes Loch in der dortigen Karstlandschaft mit einem hohen Anteil an Schwefelwasserstoff und schwefelhaltigen Mineralien. Taucher können bis 38 Meter in die Tiefe vordringen. Der Bezirk hat etwa 45 Tausend Einwohner.

Anatoli Jekamasow (Foto links) ist der Leiter des Bezirks, der aus der Stadt Surgut stammt, die im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen liegt. Im Moment hat der Mann  viel  zu tun, denn alle paar Tage muss er ein weiteres Opfer des russischen Krieges gegen die Ukraine bestatten. Wir haben ein paar Beispiele nur aus dem Monat Juli 2024 zusammengefasst.

Gouverneur Limarenko bei einem "patriotischen" Konzert - "Alles für den Sieg" Anfang Juli 2024

Die Insel Sachalin liegt im äußersten Osten Russlands und wird von etwa 450 Tausend Menschen bewohnt. Auch hier schrumpft die Bevölkerung, 2010 waren es nach Wikipedia noch 500 Tausend Bewohner. Nach unserer Statistik sind inzwischen 639 Einwohner im Krieg gegen die Ukraine gefallen, bezogen auf die Bevölkerung ein außerordentlich hoher Wert.

Gouverneur der Insel ist Valery Limarenko, dessen Karriere vom Wissenschaftsmanager zu Ministerämtern der Regionalregierungen von Saratow und Nischni Nowgorod verlief und schließlich in Sachalin endete. Limarenko wurde in der ukrainischen Großstadt Charkiw geboren und ist dort aufgewachsen. In Sachalin vertritt er die Kriegspolitik Russlands konsequent mit und unterfüttert sie ideologisch, von ihm als "Wahrheit der Mutter" benannt. Wir geben seinen aktuellen Text zu einem Mediengipfel Anfang Juli 2024 übersetzt wieder:

KasanRekrut

Den aktuellen Rekrutierungsaufruf aus Tatarstan wollen wir noch nachreichen. Wir haben im Bericht zum Monat Juni  darüber geschrieben. 1,5 Millionen Rubel entsprechen etwa 15.000 €, also knapp dem zweifachen Jahreseinkommens eines Durchschnittsverdieners. Der übersetzte Text lautet:

Treten Sie der Armee des Sieges bei! Auf einmal bei Vertragsabschluss vor dem 31. Juli 2024 in Tatarstan DO 1.500.000 RUB.
Rufzeichen „YAKTA“, WIR UNTERRICHTEN, HELFEN, UNTERSTÜTZEN, 8 (800) 222 59 00

Umary Schule

Urmary - das ist eine Siedlung in der russischen Teilrepublik Tschuwaschien mit etwa 5.200 Einwohnern. Die örtliche Sekundarschule hat Anfang Mai eine eigene Heldengasse eingeweiht, zu Ehren ihrer ehemaligen Schüler, die in den Kriegen Russlands gefallen sind. Es handelt sich dabei um elf Kriegstote, wovon neun im Krieg gegen die Ukraine getötet wurden - ziemliche viele für den kleinen Ort. Zwei dieser Namen waren noch nicht in unserer Liste.

Im Zentrum der Veranstaltung der Sekundarschule stand die Vermittlung von russischen Werten, wie fast alle öffentlichen Bildungseinrichtungen in Russland das im Moment tun. Wir geben den Wortlaut als übersetzten Originaltext wieder. Die Teilnehmerliste haben wir weggelassen.

Schapalow Otschirow Dimitrijew

Jakow Aleksandrowotsch Erschow Sergey (Tsydyp) Wladimirwitsich Danil Sergeewitsch Dimitriew
(geb. 2000)  Otschirow (geb. 1996)  (geb. 2001)

Wir haben seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges drei Fälle dokumentiert, bei denen junge russische Soldaten in ukrainische Kriegsgefangenschaft gerieten. Alle drei Soldaten sind tot den russischen Behörden übergeben worden. Wir wissen nicht, was in der Gefangenschaft passiert ist, ob es überhaupt einen tödlichen Übergriff ukrainischer Gefängniswärter oder Soldaten gab. Der dritte Fall, der auch in 2022 stattfand und der erst im Mai 24 öffentlich wurde, veranlasste uns eigene Recherchen anzustellen. (Beitrag Erschow -- Beitrag  Otschirow/Dimitriew)

Vorneweg: Der russische Angriffskrieg ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht, ein Verstoß gegen zahlreiche internationale Verträge und ein ungeheures Verbrechen am Land und am Volk der Ukraine. Russland ist der Täter, die Ukraine das Opfer. Wir meinen aber, dass trotz dieser klaren Verhältnisse die Ukraine in ihrem Abwehrkampf auch an das Völkerrecht gebunden ist. Das bedeutet, dass russische Kriegsgefangene kein Freiwild darstellen.

Wir haben deshalb zunächst bei der ukrainischen Botschaft und beim ukrainischen Verteidigungsministerium angefragt, was mit dem aktuellen Kriegsgefangenen passiert wäre, der tot seinen Angehörigen übergeben wurden. Den Wortlaut unserer Anfrage veröffentlichen wir am Ende des Beitrags. Wir haben keine Antwort erhalten.

Als nächsten Schritt haben wir am 1. Juni 24 beim deutschen Auswärtigem Amt nachgefragt, erst nach Anmahnung erhielten wir ein Rückantwort auf unsere Fragen, die wir zunächst nicht kommentieren wollen:

Russland braucht Soldaten, jeden Monat etwa 30.000 Neue, die die an der Front gefallenen und verletzten Männer ersetzen. Der russische Staat nimmt dabei alles was er bekommen kann - Nepalesen, Afrikaner, Wirtschaftsflüchtlinge aus den südlichen ehemaligen Staaten der Sowjetunion und vor allem eigene Bürger.

Das Durchschnittseinkommen in Russland betrug 2023 knapp 670 €, der Mindestlohn nur 200 €. In den vielen armen Regionen Russlands wird deutlich weniger als jenes Durchschnittseinkommen bezahlt. Die Menschen schuften im Schichtdienst in den Ölförderanlagen, Bergwerken und Minen, arbeiten bei kargem Lohn in den Landwirtschaftsbetrieben oder reisen für Saisonjobs über das weite Land. Und dann haben wir noch jene Außenseiter der Gesellschaft, Alkoholiker, Kleinkriminelle und andere Abgehängte - für all diese Menschen eröffnet sich plötzlich die Möglichkeit, einmal in ihrem Leben auf legale Weise richtig Geld zu verdienen.

In der folgenden Zusammenstellung dokumentieren wir ein aktuelles Vertragsangebot aus St. Petersburg vom 16. Juni 24. Für alle unsere Leser, die sich nicht für Details interessieren, St. Petersburg bezahlt bereits als Antrittsprämie das 1,6-fache eines durchschnittlichen russischen Jahresverdienstes. Der monatliche Verdienst der angeworbenen Soldaten beträgt mindestens das Dreifache eines russischen Durchschnittsverdienstes. Dazu kommen noch zahlreiche Prämien und Sozialleistungen.

Verschwiegen wird, dass jener Einsatz  für viele der Freiwilligen mit dem Tod oder einer schweren Verletzung endet.

Die Details:

Baschkortostan PrämieUnsere Zusammenstellung der Werbeprämien für den russischen Kriegsdienst wollen wir noch um ein Beispiel aus Baschkortostan ergänzen. Das große Dorf Tolbasy hat ebenfalls solch eine Anzeige veröffentlicht.

Die Antrittsprämie mit 500.000 Rubel enttäuscht, da bieten andere Regionen mehr als das Doppelte.

15.06.24 russische KriegstoteDie aktuelle großangelegte Offensive der russischen Armee bewegt sich in einigen Regionen langsam vorwärts, in anderen stagniert sie und es gibt auch Erfolge der ukrainischen Armee. Der größte Erfolg der ukrainischen Soldaten sind die andauernden hohen Verluste Russlands an Menschen und Ausrüstung.

Es gibt verschiedene Rechnungen, wie lange Russland das noch durchhalten kann, manche meinen vielleicht noch Jahre, da Russland über große Lagerstellen an ausgemustertem Material verfügt. Das Gerät wird nach und nach restauriert und gelangt zum Einsatz, es gibt zahlreiche Luftaufnahmen wie die Bestände langsam schwinden.

Entscheidend dürfte der Faktor Mensch sein, wie lange sich die Gesellschaft die hohen Opferzahlen samt deren verlogenen Begründungen noch bieten lässt. Wir beobachten in den Kommentaren zu den Todesmeldungen häufiger eine wachsende Distanz zum Sinn und Zweck des Krieges. Da man sich in Russland zu diesem Thema nicht explizit äußern kann, ohne eine Strafverfolgung zu riskieren, kann man daraus die wirkliche Stimmung im Land nicht ableiten.

Sowjetische RekrutierungDie russische Armee muss jeden Monat etwa 30.000 Freiwillige anwerben, denn so groß sind die Verluste (Verwundete und Tote) ihrer Armee im Krieg gegen die Ukraine. Die Freiwilligen werden häufig als Kanonenfutter verwendet, sie sterben in sogenannten "Fleischangriffen", damit die eigene Armee wieder vielleicht ein paar hundert Meter vorrücken kann. Wir haben das schon mehrfach dokumentiert.

Die einzelnen russischen Regionen bekommen Vorgaben, wieviele Soldaten sie rekrutieren müssen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, übertreffen sich die Regionen gegenseitig mit den Erstzahlungen bei Vertragsabschluss. Die Behörden der Region Karatschai-Tscherkessien (Kaukasus) bieten aktuell 1,3 Millionen Rubel (ca. 13.000 €) für einen Vertragsabschluss. Das ist die bisherige Rekordzahlung, knapp dahinter bisher St. Petersburg mit 1,1 Millionen. Doch inzwischen bietet die Stadt auch 1,3 Millionen. In Krasnodar zum Beispiel wurden den Vertragswilligen eine Million Rubel geboten.

So kann es passieren, dass die russischen Vertragsanwärter eine weite Reise auf sich nehmen, wenn eine Region deutlich mehr Antrittsgeld zahlt als ihr Wohnort.

(Sowjetisches Rekrutierungsplakat, Dmitri Moor, 1920, "Hast Du Dich als Freiwilliger gemeldet?)

Wer bietet mehr?

Nachstehend vier Rekrutierungsanzeigen aus verschiedenen Regionen:

Am 9. Mai haben wir über die Stadt Kropotkin im Süden Russlands berichtet. Dort wurde ein neues Denkmal für die im Krieg gegen die Ukraine getöteten russischen Soldaten der Stadt und Region errichtet. Die Stadt ist nach dem russischen Fürsten und Anarchisten Pjotr Kropotkin (1842 - 1921) benannt, der sich für eine gewalt- und herrschaftsfreie Gesellschaft einsetzte. Zu unserem damaligen Text gibt es jetzt einen Film, den wir nicht vorenthalten wollen.

Der Salarinski-Bezirk in der Region Irkutsk hat knapp 27.000 Bewohner, die Transsibirische Eisenbahn fährt durch das Gebiet. Kohle wird im Tagebau und wird Steinsalz untertage gefördert.

Anfang Mai veranstaltete die Bezirksverwaltung einen Gedenktag für die Opfer der Region im Krieg gegen die Ukraine. Wir geben den Text zum Film im übersetzten Original wieder:

Askarowo

Keine Region hat aktuell so viele Kriegstote zu beklagen wie Baschkortostan. Und noch immer registrieren wir täglich zahlreiche neue Opfer aus den Dörfern und Kleinstädten des Landes. Und auch keine Region liefert so eindrucksvolle Bilder von den Trauerfeiern wie Baschkortostan.

Ende Mai wurde der Freiwillige Jamil Chadjullowitsch Jagudin (geb. 1984) im kleinen Dorf Baimowo bestattet. Das Dorf hat um die 1.000 Einwohner und ist das Verwaltungszentrum des Gemeindebezirks. Die Bevölkerung schrumpft und lebt bescheiden. Auffällig ist - auf der Treuerfeier finden sich meist nur ältere Menschen, vielleicht weil sie an einem Montag stattfand und weil ob der vielen Begräbnisse, das Interesse nachlässt.

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