UlanUde

Panorama von Ulan-Ude -- Urheber: Zeitung "Number One" (Fotograf: Беркут)

Im fernen Osten Russlands an der Grenze zur Mongolei liegt die autonome Republik Burjatien. Die Region hat ungefähr eine Million Einwohner, die Hauptstadt Ulan-Ude mit einer Bevölkerung von etwa 400 Tausend liegt an der Transsibirischen Eisenbahn. Die Burjaten, Namensgeber der Republik, sind eine mongolische Ethnie, die vorwiegend den Buddhismus als Religion praktizieren. Sie stellen aber in der Republik eine Minderheit dar, zwei Drittel der Bevölkerung sind Russen.

Die Entfernung zwischen Ulan-Ude und Kiew beträgt über 5.000 km Luftlinie, mit dem Auto sind es noch einmal 1000 km extra. Trotzdem tragen Burjaten einen erheblichen Beitrag zum Krieg Russlands gegen die Ukraine bei. Keine andere Region Russlands hat so viele Kriegstote zu beklagen. Stand 2.05.22

Bereits im ersten Krieg Russlands gegen die Ukraine griffen ab August 2014 reguläre russische Truppen in das Kriegsgeschehen ein, nachdem die sogenannten Separatisten im Donbass kurz vor der militärischen Niederlage standen. Im Kampf um die strategisch wichtige Stadt Debalzewe im Januar und Februar 2015 wurden auch burjatische Soldaten auf Seiten Russlands registriert.

Unsere aktuelle Aufstellung der burjatischen Todesopfer verzeichnet bis zum 1. Mai 22 insgesamt 107 Todesmeldungen, die an die Öffentlichkeit gelangt sind. Damit hat Burjatien die höchste Quote an Kriegstoten aller russischen Bezirke zu beklagen, mit mindestens 11 Opfern auf 100.000 Einwohner.

Wie richtig die von uns gesammelten Opferzahlen sind, zeigt auch die Liste des Baikal-Journals, das vor einigen Tagen 102 gefallene Soldaten aus Burjatien gemeldet hat und deren Zusammenstellung etwa unserer entspricht. Über die realen Zahlen lässt sich nur spekulieren, da die Behörden angewiesen sind, keine Statistiken über Verluste an Menschenleben zu veröffentlichen und auch sonst nur das bestätigen, was offensichtlich schon bekannt ist.

So bleibt die Frage, warum so viele Einwohner Burjatiens am Krieg gegen die Ukraine teilnehmen – gegen ein Land, das nicht gerade in der Nachbarschaft liegt, sondern über den Landweg 6.000 km entfernt ist. An der buddhistischen Religionszugehörigkeit kann es nicht liegen, denn die Mehrzahl der Bewohner sind ethnische Russen.


Buddhistische Trauerfeier für die gefallenen Burjaten

Die Online-Zeitschrift Meduza hat auf einer burjatischen Trauerfeier den Reden der Behörden- und Militärvertretern zugehört.

Sie starben nicht umsonst,“ so der stellvertretende Leiter der Republik Bair Tsyrenov: „Sie sind gestorben, damit Russland groß wird. Um das Blutvergießen in der Ukraine zu stoppen.“

Sie starben für die Verteidigung der freien Zukunft unseres Landes,“ sagt der Bürgermeister von Ulan-Ude Igor Shutenkov.

Niemand hat Russland jemals besiegt. Und sie werden nicht gewinnen!“ sagt der stellvertretende Sprecher der Volkspartei Khural Tsyren Dorzhiev.

Die Fallschirmjäger machten ihren letzten Sprung in den Himmel. Es tut sehr weh. Ewige Erinnerung,“ - sagt der amtierende Kommandeur der 11. Angriffsbrigade, Oberstleutnant Vitaly Laskov.

BurjatienSalut

Militärischee Salutschüsse für die toten Soldaten aus Burjatien

Große Worte, die wenig Sinn ergeben und schon gar nicht erklären, warum ausgerechnet die jungen Männer aus Burjatien im Donbass kämpfen und sterben.

Da gibt es zunächst die Entscheidungen, die im fernen Moskau getroffen werden. Denn der Kreml schickt bewusst die Regimenter aus den Randgebieten Russlands in den Kampf gegen die Ukraine. Aus dem Kaukasus, aus den Grenzgebieten zu Kasachstan und der Mongolei kommen die Soldaten, die im Krieg aktuell in den Todesmeldungen auftauchen. Aus den westlichen Metropolen wie Moskau, wo immerhin 12% der Bevölkerung Russlands lebt, wird kaum ein Todesopfer beklagt. Und auch St. Petersburg und der umgebende Oblast Leningrad verzeichnen in Relation zur Bevölkerung nur eine verschwindend geringe Anzahl toter Soldaten. Offensichtlich scheuen sich die Befehlshaber im Kreml ihre jungen Großstädter in den Kampf zu schicken. Die sind besser gebildet, durchschauen die leeren Worte oder Lügen der russischen Propaganda besser und im Hintergrund wachen die Eltern, dass ihrem geliebten Nachwuchs nichts passiert.

Und schließlich ist da die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung. Die Republik Burjatien verzeichnet in Bezug auf die Lebensqualität nur den 81. Platz unter 85 Regionen Russlands. 20% der Einwohner leben unter dem Existenzminimum, die Hauptstadt Ulan-Ude belegt unter den russischen Großstädten (über 250 Tsd Einwohner) den letzten Platz in Bezug auf die Lebensqualität. Für die jungen Menschen gibt es kaum eine Arbeit und wenn, dann ist sie schlecht bezahlt.

Die Mutter eines gefallen Soldaten berichtet von ihrem Sohn. Der arbeitete als Sportlehrer für 7.000 Rubel monatlich (der Durchschnittsverdienst in Russland beträgt etwa 35.000 Rubel). Ein Jahr hätte er so durchgehalten, dann bekam seine Frau das erste Kind. So ging er wieder zurück zum Militär, wo er sofort 40- 50.000 Rubel monatlich bezahlt bekam. Und wer sich aktuell direkt als Freiwilliger in den Krieg meldet, erhält sogar 250 Tausend Rubel monatlich.

Liest man die Todesmeldungen aus Burjatien, dann stellt man fest, wie klein die Welt dort noch ist. Man kennt sich auf dem Dorf, verfolgt den Werdegang der jungen Menschen und so lesen sich viele der Meldungen im Original wie ausführliche Schul- und Arbeitszeugnisse. Wir haben die kleinen Lebensläufe hier meist gekürzt, weil sie den Rahmen sonst gesprengt hätten. Man redet ausführlich nur Gutes über die schulischen Leistungen, über soziales und privates Verhalten und erzählt von sportlichen Erfolgen. Die führen meist direkt zum Militär.

Meduza lässt am Ende ihres Beitrags noch einen Onkel eines toten Soldaten zu Wort kommen: "Wenn sie gegen den Krieg sagen, ist das schlimm. Es ist eine Verleugnung. Wir müssen für Frieden sprechen. Wir sind alle für den Frieden. Ich rechtfertige den Krieg nicht. Aber es ist wie im Jahr 1941. Es ist jetzt derselbe Faschismus. Ich habe keine vollständigen Informationen. Aber ich weiß."


Nachtrag: Ein aktuelles Video des Baikal-Journals mit Interviews von Angehörigen getöteter Soldaten. Auch wenn man die Sprache nicht versteht gibt der Film einen visuellen Eindruck von den Lebens- und Sterbensumständen der Burjaten.