Im Krieg Russlands gegen die Ukraine gibt es in den letzten Monaten bis auf die Eroberung der Stadt Awdijiwka nur wenige Veränderungen an der Front. Dagegen haben die täglichen menschlichen Verluste seit Kriegsbeginn einen neuen Höchststand erreicht. Zum 29. Februar 2024 haben wir 46.378 russische Kriegstote namentlich erfasst, das bedeutet einen Zuwachs von 6.425 gefundenen Kriegstoten seit Beginn des Jahres, also im Durchschnitt 107 gefallene Soldaten pro Tag.
Zum Vergleich - in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 hatten wir durchschnittlich etwa 73 gefallene Soldaten pro Tag registriert.
Zusammen mit der Eroberung der ukrainischen Industriestadt Awdijiwka hat die russische Armee an vielen Orten der Front mit Offensivaktionen begonnen. Dies erklärt den starken Anstieg der russischen Gefallenen, denn viele dieser Angriffe enden in einem totalen Desaster. Das scheint die Militärführung nicht weiter zu stören, denn jene Kriegstoten kommen meist aus den Reihen der mobilisierten Bürger, der Freiwilligen oder der Sturm-Z / Sturm-V Einheiten. Die erfahrenen Berufssoldaten werden dagegen in der Etappe geschont. Dem Militär gelingt es noch immer, die Verluste durch neue Freiwillige auszugleichen.
Die Grafik rechts zeigt die Entwicklung der getöteten russischen Soldaten auf 100-Tausend Einwohnern. Vom 01.01.23 bis heute ist diese Zahl auf 32,9 gestiegen, die Kurve ist seit Jahresbeginn steiler geworden.
Die hier veröffentlichte Zahl an russischen Kriegstoten stammt aus öffentlich zugänglichen Quellen. Sie setzt sich zusammen aus den regionalen Medien in Russland, aus regionalen systemkritischen Quellen, aus Telegramkanälen, durch nicht von uns betriebene Bots, die die sozialen Netzwerke VKontakte, OK und Instagram auf Stichworte durchsuchen und durch Hinweise von Internetnutzern. Die überwiegende Anzahl der Todesmeldungen stammt aus den sozialen Medien.
Die so ermittelten Daten werden von uns in einem zweiten Schritt auf Richtigkeit, auf Regionen und andere Inhalte überprüft. Viele Todesmeldungen werden aus den unterschiedlichsten Gründen schnell gelöscht. Hier versuchen wir andere Quellen zu finden. All das erfordert viel Zeit, unsere aktuelle Zusammenstellung fasst die Daten zum 31.12.23 zusammen.
Aus diesen Zahlen ergeben sich folgende Einschätzungen (siehe Anmerkungen):
Ermittelte Kriegstote |
Geschätzte Kriegstote |
Geschätzte Verletzte |
Geschätzte Gesamtverluste |
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Unsere Statistik, Stand 29.02.24 | 46.378 | 77.300 | 271.000 | 348.000 |
BBC, Stand 21.02.24 | 45.123 | 90.200 | k.A. | k.A |
Britischer Geheimdienst, 03.03.23, Veröffentlichung |
355.000 |
Der britsche Gehimdienst schreibt in seinem Bericht vom 03.03.23:
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Anmerkungen:
Wir wissen, dass wir mit unseren Zahlen nur bedingt die Realität abbilden. Viele Kriegstote werden öffentlich verschwiegen. Das bringt uns zu folgenden Überlegungen:
- Der ehemalige russische Offizier Vitaly Votanovsky hat die Friedhöfe in der gesamten Region Krasnodar aufgesucht und dabei die Gräber von Kriegstoten ermittelt, die von den Medien nicht veröffentlicht wurden. Man kann also davon ausgehen, dass zumindest in dieser Region die meisten gefallenen Soldaten auch erfasst wurden. Insgesamt haben wir in Krasnodar (Stand 15.10.23) 1.167 gefallene Soldaten gelistet, davon wurden 699 in den Medien veröffentlicht, Vitaly Votanovsky oder seine Mitstreiter haben bis zu diesem Zeitpunkt die Gräber von 468 weiteren Gefallenen aufgezählt. Das bedeutet, dass in der Region Krasnodar gerundet etwa 60% aller Kriegstoten durch die Medien veröffentlicht wurden.
- Auch am Beispiel der Toten von Makijiwka ergeben sich ähnliche Relationen. 89 tote Soldaten wurden gemeldet, wir haben 137 gelistet, das ergibt etwa 65 Prozent der öffentlich gemachten Opfer.
- Der britische Geheimdienst hat zuletzt am 04.12.23 sich zu den russischen Verlustzahlen geäußert. Nach seinen Angaben hätte Russland 50.000 tote Soldaten und 20.000 getötete Wagnersöldner zu verzeichnen. Dazu kämen 180.000 bis 240.000 verwundete Soldaten und 40.000 verwundete Wagner-Söldner. Die Anzahl der getöteten Wagner-Söldner bezieht sich übrigens auf eine Aussage von Jewgeny Prigoschin vor seiner Attacke auf das russische Militärsystem.
- Die Kriegstoten stellen aber nur einen Teil der Opferzahlen dar. Viele Soldaten wurden schwer traumatisiert – an Körper und Seele. Die BBC trifft dazu folgende Aussage: Nach Beobachtungen des US Center for Naval Analysis kommen auf jeden russischen Soldaten, der während des Krieges in der Ukraine getötet wurde, im Durchschnitt etwa dreieinhalb Verwundete.
Aktuell haben wir die Kriegstoten auf einem Denkmal in Solnetschnogorsk, Region Moskau, erfasst und dabei festgestellt, dass wir etwa 60% aller Namen bereits in unserer Datenbank hatten. Bei den dort veröffentlichten Söldnern der Gruppe Wagner war es allerdings umgekehrt, hier kannten wir nur den kleineren Teil der Kriegstoten. Auch das bestätigte unsere Erfahrungen.
Dem gegenüber bleibt die BBC bei ihrer Einschätzung, dass sie nur etwa die Hälfte aller Kriegstoten erfassen würden. Zitat: "Zu diesem Schluss kamen wir durch eine systematische Untersuchung der Situation auf Friedhöfen in 70 russischen Siedlungen."
Dieser Einschätzung können wir uns nicht anschließen, da wir doch zahlreiche Regionen Russlands kennen, in denen Freiwillige den überwiegenden Teil der Kriegstoten erfassen (Beispiele: Burjatien, Irkutsk, Krasnodar, Tschuwaschien, Pskow) oder wo die Verwaltungen alle Verluste in ihren Telegram-Kanälen veröffentlichen (Beispiele: Komi, Sachalin).