Immer wieder taucht in den aktuellen Diskussionen zum Thema Gulli der Begriff "Szene" auf. Was bedeutet dieser Begriff eigentlich? Die BoardNachrichten haben zu diesem Thema bereits einen Beitrag veröffentlicht, den wir aus gegebenem Anlass aus dem Archiv hervorgekramt und etwas abgestaubt haben.

Obwohl im Beitrag nur der gesamte Themenumfang nur stichwortartig zusammengefasst wurde, ist doch ein längerer Artikel entstanden und erfordert etwas Standfestigkeit beim Lesen. Das Thema kann in der BoardRundschau weiter diskutiert werden.

Keine Gemeinschaft ist frei davon, kein Staat, kein gesellschaftlicher Bereich in dem sie nicht vorkommen. Ich rede von den Gemeinschaften im Schatten unserer Gesellschaft. Ich rede von denen, die es mit den staatlich definierten Regeln nicht ganz so genau nehmen, sie ganz nach ihrem Belieben etwas dehnen und strecken und sich damit bewusst außerhalb unseres Gemeinwesens definieren.
Nun - dieser Begriff der Schattengesellschaft bestimmt einen weiten Bereich und viele der Menschen, die man damit erfasst, wären gar nicht glücklich darüber, wenn sie wüssten, in welcher zweifelhaften Gesellschaft sie sich dabei befinden.



-Handwerker im Schattenreich
So ordnet sich zB unserem offiziellen Wirtschaftssystem eine Schattenwirtschaft zu. Dort finden sich die viele ehrenwerten Handwerker, wenn diese außer der Reihe mal mit Schwarzarbeit eine schnelle Mark verdienen. Genau so wie unser Kneipenwirt, der einen Teil seines Umsatzes nicht beim Finanzamt anzeigt. Aber auch die mafiösen Kriminellen, die ihre schmutzigen Moneten aus Drogen, Glücksspiel und Prostitution sauber waschen und schließlich all jene Unternehmer, die um Kosten zu sparen, billige ausländische Arbeitskräfte illegal beschäftigen.



- Protestbewegung im Schatten
Gut – damit will keiner von uns zu tun haben? Wie sieht es dann beispielsweise mit den vielen politischen und sozialen Bewegungen außerhalb unseres normierten politischen Lebens aus? Reden wir von der Opposition gegen ein atomares Endlager in Gorleben, von den Bürgerprotesten gegen den Ausbau von Schnellstraßen oder Flughäfen, von den vielfältigen Bürgerprotesten gegen Kriegstreiberei und für atomare Abrüstung.  
Wieder treffen wir auf Organisationsformen außerhalb des vordefinierten Rahmens. Denn die politische Willensbildung ist in unserem System ausschließlich den jeweiligen demokratischen Institutionen vorbehalten, andere Formen der Durchsetzung von Interessen sind also wieder solche Schattensysteme.



- Der Schatten des Internets
Ihr langweilt Euch, fragt Euch allmählich, was dies alles mit dem Thema der Nachrichten zu tun hätte? Eine Menge Leute – eine Menge!
Denn wenn wir in den BoardNachrichten von der „Szene“ reden, dann meinen wir wieder so ein Schattenreich in unserer Gesellschaft. Dann reden wir von all denen, die es mit der strikten Auslegung des Urheberrechts und artverwandter Gesetze nicht so genau nehmen.
Die ganz ohne schlechtes Gewissen den Testzeitraum einer Demoversion eines Computerprogramms bis in alle Ewigkeit verlängern, die im Internet sowohl kleinste Hilfsprogramm für wenige Märker genau so wie Software für Tausende von Dollars kalt lächelnd von einem Computer zum anderen schieben. Oder von den Zeitgenossen, die verschmitzt lächeln, wenn sie im Kreis ihrer Freunde wieder mal einen Film vorführen, der es noch nicht mal in die heimischen Kinos geschafft hat.



- Das illegale Netz im Netz
Wollen wir das Format der BoardNachrichten nicht sprengen, dann können wir nur ganz wenige Aspekte dieser Schattenszene beleuchten. Da gibt es Leute bei den großen Softwarefirmen oder bei Großunternehmen, die jedes frische Stück Software der Szene frühzeitig zur Verfügung stellen. Da gibt es zahllose Systemadministratoren, die einen öffentlichen Zugang auf das von ihnen betreute Computersystem zur Verfügung stellen, damit irgendwelche Menschen wiederum dieses Schlupfloch entdecken und zum Verteilen der Software benutzen können. Da gibt es weiter zahllose fxp-Gruppen, die für die Distribution der Daten bis in den letzten Winkel der Szene sorgen.



- Ohne Not Risiken eingehen
Was ist der Antrieb dieser Leute solche Risiken einzugehen? Vielleicht ein einfaches – wer gibt, dem wird gegeben? Oder gesellschaftskritische Überlegungen: Software sollte frei verfügbares Eigentum sein und nicht im Besitz großer Konzerne? Oder Abenteurertum oder persönliche Wichtigtuerei: Durch meine Aktivitäten bin ich zum großen Wicht im Internet geworden?
Was auch immer die Gründe dafür sind, die einfachen Nutzer bekommen auf jeden Fall von der Szene ein positives Bild vermittelt: Den gesellschaftlichen Traum einer solidarischen Gemeinschaft ohne Neid und Konkurrenz, die sich gegenseitig hilft und fördert.



- Legitimität des Verbotenen
Und dieser erste Eindruck ist der wichtige. Zwar ist das Treiben im Netz illegal oder zumindest in einer Grauzone angesiedelt, aber es bekommt seine Legitimität durch die Selbstlosigkeit im Handeln der Verantwortlichen. Man gibt etwas her, an die Gemeinschaft, freiwillig und ohne Eigennutzen.
So haben nicht nur die direkten Nutznießer der Szene nichts gegen dieses muntere Treiben einzuwenden, auch die Mehrheit aller ganz normalen Internetbesucher steht ideell dahinter. Das bemerkt man schnell, wenn man sich außerhalb der Szene im Netz bewegt.
 Aber dieses Pfund der Selbstlosigkeit, aus der die Szene ihre Anerkennung zieht und das ihr ständig neue Unterstützer zuführt, ist schnell verbraucht. Nämlich dann, wenn man kleinen und großen Geschäftemachern oder Betrügern erlaubt, innerhalb dieser Schattengemeinschaft ihr Unwesen zu treiben. Denn dann wird die Szene zum Eigennutz instrumentalisiert, verliert ihre Glaubwürdigkeit und wird eher früher als später zur bevorzugten Zielscheibe sowohl der Politik (mit schärferen Gesetzen), als auch der Justiz. Viele Kunden von Warez-Dealern können ein Lied davon singen.



- Vom rechten Pfad der Tugend
Damit keine Missverständnisse aufkommen – natürlich ist es in diesem Zusammenhang legitim, dass Boardbetreiber Werbung, vielleicht auch wenn es nicht anders geht Werbung der anrüchigen Art, zur Finanzierung ihrer enormen Kosten mit an Bord holen. Und wenn jemand es schafft aus dem Hobby ein Geschäftsfeld zu machen? Um so besser! Solange das eine und das andere deutlich von einander getrennt und unterscheidbar bleibt, hat das unsere volle Anerkennung verdient.